Max Lindner, der langjährige Erste Schlagzeuger im NDR Sinfonieorchester, verstarb am 10. Februar im Alter von 76 Jahren in Hamburg. In Sobrusan-Wschechlab (heute: Zabrušany-Všechlapy) in Nordböhmen (Sudetenland) geboren, begann Lindner bereits in früher Jugend seine musikalische Laufbahn, die über sechs Jahrzehnte dauern sollte.

Die ersten Auftritte hatte Max Lindner als Trommler bei der Sobrusan/Wschechlaber-Blaskapelle, als Schlagzeuger im Schülerorchester Sobrusan oder als Xylophon-Solist bei den Schülerkonzerten seines Musiklehrers Franz Zirkler (Dux).

Nach dem Abitur studierte er Schlagzeug an der »Ludwig van Beethoven Musikschule« in Teplitz (heute: Teplice). Dort, wo Beethoven im Gasthof Zur Eiche während eines Kuraufenthalts im Juli 1812 seinen berühmten Brief an die »Unsterbliche Geliebte« schrieb und er ebenda einmal Goethe traf, wo Chopin im August 1929 auf seiner Reise von Prag nach Dresden einen Kurzbesuch machte und wo Anton von Webern 1910 als Theaterkapellmeister wirkte, hatte der Musiker bereits im Alter von 22 Jahren eine Anstellung als Schlagzeuger und Pauker am Stadttheater inne. Anschließend absolvierte Lindner ein Studium an der Musikhochschule in Halle.

Nach dem Krieg mußte Lindner aus seiner Heimat flüchten. Stellen in Theater- und Sinfonieorchestern folgten in Köthen, Halle, Trier, Ludwigshafen und schließlich in Hamburg beim NDR, für den er mehr als 25 Jahre tätig war. In Halle war er zudem Dozent für Schlagzeug an der Musikhochschule und später auch am Hamburger Konservatorium.

Lindner, der bereits während seiner Hallenser Zeit als Gastschlagzeuger beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig unter Herbert Kegel Rundfunkerfahrung gesammelt hatte, begann seine Karriere beim NDR im ersten Jahr zunächst beim Hamburger Rundfunkorchester unter dem Dirigat von Richard Müller-Lampertz. Schon bald wurde er dann in das ›große‹ Sinfonieorchester zu Hans Schmidt-Isserstedt geholt.

Lindner, der zu den profiliertesten Schlagzeugern seiner Generation gezählt wird, spielte unter so bedeutenden Dirigenten wie Pierre Boulez (Pli selon pli, 28.08.1965, Edinburgh Festival mit Halina Łukomska), Sergiu Celibidache, Antal Dorati, Michael Gielen, Carlos Kleiber, Kyrill Kondraschin, Lorin Maazel, Bruno Maderna, Igor Markevitch, Pierre Monteux, Hans Schmidt-Isserstedt, Giuseppe Sinopoli, Georg Solti, Karlheinz Stockhausen, Otmar Suitner, Klaus Tennstedt und Günther Wand sowie mit Primadonnen wie Maria Meneghini Callas (ihr erstes Konzert in Deutschland am 10.05.1959 im Kurhaus Wiesbaden mit dem Pfalzorchester unter der Leitung von Nicola Rescigno), Renata Tebaldi, Brigitte Fassbaender und Edith Mathis.

›Legendär‹ war etwa Lindners glänzende Darbietung in Maurice Ravels Bolero, bei der er zunächst mit seinen Fingernägeln klopfend anfing und dann später erst zu den Trommelstöcken griff. Unzählige Aufnahmen mit Max Lindner besonders mit dem NDR Sinfonieorchester sind für das Hörfunk- und Fernseh-Programm des NDR produziert worden (er spielte u.a. auch das Marimbaphon für die langjährige Erkennungsmelodie des NDR 3-Hörfunks sowie für die Kinder-TV-Serie Sesamstraße).

Neben der Tätigkeit im Sinfonieorchester, mit dem er rund um den Globus auf Tourneen und Festivals spielte, engagierte sich Max Lindner lange Jahre für die renommierte NDR-Konzertreihe das neue werk beispielsweise für Werke von Pierre Boulez (z.B. Erstaufführung Neufassung Pli selon pli am 24.01.1961), Hans Werner Henze (z.B. Erstaufnahme/Ursendung von Das Floß der Medusa), Nicolaus A. Huber (z.B. Aufnahme von Versuch über Sprache), Mauricio Kagel, Ernst Krenek (z.B. UA von Glauben und Wissen am 21.12.1966), György Ligeti (z.B. UA Gesamtzyklus der Aventures und Nouvelles Aventures am 26.05.1966), Bruno Maderna, Karlheinz Stockhausen (z.B. UA Carré am 28.10.1960; UA Mixtur am 09.11.1965), Igor Strawinski und Isang Yun. Später war der Schlagzeuger festes Mitglied im Ensemble »das neue werk Hamburg«, geleitet von Dieter Cichewiecz. Lindner trat zudem mit so namhaften Künstlern wie Alfons Kontarsky & Aloys Kontarsky sowie Zigismond Szathmáry auf. Weiterhin spielte der Musiker mit dem »Radiokammerorchester Hamburg«.

Lindner war außerdem ein gefragter Studio-Schlagzeuger, der vor allem in den Sechzigern zu Filmmusikproduktionen für die US-Film- und Fernsehindustrie in Ralf Arnies »Star-Musik Studio« im Heußweg 33 in Hamburg-Eimsbüttel gerufen wurde. Er rührte u.a. die kleine Trommel für die Titelmelodie der beliebten Western-TV-Serie Bonanza sowie für die Western-TV-Serie High Chaparell. Weiterhin war er an den Musik-Aufnahmen zu dem Film Heimweh nach St. Pauli beteiligt. Auch James Last und die Goombay Dance Band riefen den vielseitigen Schlagzeuger in’s Studio.

Nebenbei spielte Max Lindner bei Schallplatten-Produktionen auch das Akkordeon, etwa für Freddy Quinns Junge, komm bald wieder oder Udo Lindenbergs LP Daumen im Wind. Der Schlagzeuger war auch an den Aufnahmen des Krautrock-Projekts »Wonderland Band No. 1« beteiligt. Übrigens sind sogar Rock-Schlagzeuger wie Carsten Bohn und Herwig Mitteregger in seinem Schülerkreis zu finden.

Auch im Theater und in der Oper war Max Lindner ein gern gesehener Musiker. So etwa im Hamburger Thalia Theater (z.B. Musical Chicago mit Judy Winter unter der Leitung von Rolf Kühn) oder an der Hamburgischen Staatsoper (z.B. Kurt Weills Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny). Zudem spielte er mit Neil Sedaka im Konzert im CCH in Hamburg.

Selbst nach seiner Pensionierung vom NDR blieb der Musiker aktiv. So war Lindner häufig als Pauker oder Schlagzeuger bei Konzerten (z.B. mit der Hamburger Camerata) tätig.

Der Vollblutmusiker, dessen schlagfertiger Wortwitz stets geschätzt wurde, zählte zu seinen musikalischen Freunden so unterschiedliche Persönlichkeiten wie den Dirigenten Carlos Kleiber oder auch den Jazz-Klarinettisten Rolf Kühn. Dennoch blieb Lindner, hierin konsequent ein musikalischer Schlagzeuger, stets im Hintergrund und bescheiden: in der Fachwelt anerkannt – in der Öffentlichkeit eher unbekannt.

Eine Hochschul-Professur oder Engagements im Bayreuther Festspielorchester lehnte er stets ab, um mehr Zeit für seine Familie zu haben. Der Künstler hinterläßt eine Tochter und zwei Söhne, unter ihnen das ›Enfant terrible‹ der Rock-Schlagzeuger Zabba Lindner.

Max Lindner starb im Schlaf den von Medizinern sogenannten »Sekunden-Tod«, der wie sein Trommelschlag schnell und präzise eintrat. Viele Schlagzeuger werden die Resonanz-Saiten ihrer kleinen Trommel herunterklappen und ihm zu Ehren bei ›gedämpftem Trommelklang‹ den Trauermarsch schlagen. (MSp)

Nekrolog – erweiterte und korrigierte Fassung. Die Erstfassung wurde (gekürzt) veröffentlicht in: drums & percussion 4/98, S. 5