Das neue Buch von Constantin Floros widmet sich der Biographie, der Persönlichkeit und dem Schaffen von Johannes Brahms. Floros bringt hier die Ergebnisse seiner Forschungen seit den achtziger Jahren mit ein. Sein Anliegen ist es, die drei erwähnten Aspekte miteinander verschmelzen zu können. Der Autor zeigt, daß sich persönliche Erlebnisse des Komponisten, poetische Leitideen, Werke der Kunst und Literatur in dessen Kompositionen niederschlagen.

Persönliche Charakteristika von Brahms, etwa seine Verschlossenheit, seine Vorliebe für Einsamkeit als Bedingung für Unabhängigkeit, sowohl im Privaten, als auch im Beruflichen, oder seine Doppelgesichtigkeit, die zur Ausprägung zweier gegensätzlicher musikalischer Charaktere führte, zeigen ihre Spuren in Brahms’ Kompositionen.

Von besonderer Bedeutung ist dabei eine Klangchiffre, das FAE-Anagramm (»Frei, aber einsam«), welches für Brahms zu einem Lebensmotto wurde, und das sich wie eine Art roter Faden als Notenfolge f-a-e durch zahlreiche Kompositionen zieht.

Biographische Aspekte, z.B. persönliche Erlebnisse als Auslöser für den Schaffensprozess, sein Verhältnis zu seiner Mutter, zu Frauen oder seine Freundschaft zu Clara und Robert Schumann werden überzeugend auf einzelne Werke bezogen.

Besonders hervorgehoben seien das Deutsche Requiem, in welchem sich der Tod der Mutter widerspiegelt, und das Streichsextett Opus 36, das die Liebe zu Agathe von Siebold mit Hilfe des Agathen-Anagramms a-g-a-h-e verarbeitet. Ferner gelingt es Floros als erstem ein briefliches Liebesgeständnis von Brahms an Clara Schumann ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.

Hatte sich bisher in der Forschung das ›Klischee‹ durchgesetzt, Brahms habe namentlich die Tradition von Beethoven fortgesetzt, so kann Floros beispielsweise anhand zahlreicher Paraphrasen, Reminiszenzen oder Zitate nachweisen, daß vielmehr sein Verhältnis zu Schumann von Bedeutung ist, was bisher kaum berücksichtigt wurde.

Dabei wird auch eine Art doppeltes Verhältnis zu Beethoven deutlich, das Floros als »eine Mischung aus Affinität und Distanz« beschreibt, die er im direkten Vergleich zwischen Kompositionen von Beethoven und Brahms aufzeigt. Den Lesern empfehle ich besonders die Passagen über Brahms’ KlavierMusik.

Bemerkenswert ist ferner, daß das Verhältnis des Wiener Musikkritikers Eduard Hanslick zu Brahms auf einem großen Mißverständnis beruhte. Hatte sich seit Hanslick allgemein die Vorstellung vom ›absoluten Musiker‹ Brahms festgesetzt, so gelingt es Floros, Brahms als einen Komponisten des ›Poetischen‹, der Charakterstücke (z.B. Wiegenlied, Pastorale) vorzustellen und zu zeigen, daß Hanslick ihn zu Unrecht für seine Doktrin vereinnahmte. Der Leser erfährt aufschlußreiche neue Details zur Freundschaft Brahms-Hanslick.

Zahlreiche Notenbeispiele, viele bisher unveröffentlichte Bilder, Photos und Autographe heben den Band hervor. Sowohl der wissenschaftlich interessierte Kenner als auch der reine Liebhaber erhalten ein rundes, fundiertes Porträt von Brahms, das beiden bewußt machen kann, warum und wofür man Brahms lieben kann. (MSp)

Constantin Floros: Johannes Brahms – »Frei, aber einsam« – Ein Leben für eine poetische Musik, Zürich-Hamburg (Arche Verlag) 1997, 320 S.

Rezension zuerst veröffentlicht in: PianoMAG, I/97, S. 24